St.Galler Tagblatt

Mit Leidenschaft für die Kunst

Zurzeit zeigen an zwei verschiedenen St. Galler Ausstellungsorten fünf Frauen Werke, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten. Ein Besuch in der Galerie Margrit Oertli und bei «Kunst + Raum».

Von Christina Genova

«Les extrêmes se touchent», hat es Galeristin Margrit Oertli auf den Punkt gebracht. Schaut man genauer hin, so ergeben sich dennoch einige Gemeinsamkeiten. Es sind bis auf eine Ausnahme Frauen in den Fünfzigern. Alle kommen aus der Ostschweiz und alle betreiben ihre Kunst mit grosser Ernsthaftigkeit und Leidenschaft.

See und geometrische Formen
Viele dünn aufgetragene Schichten Ölfarbe fügen sich bei Christina Waidelich-Peter (Heiden) zu Landschaften von berauschender Tiefe.

Die Künstlerin ist Grafikerin. Acht Jahre führte sie die Galerie W in Heiden. Sie malt, was sie umgibt, den Bodensee zum Beispiel, den sie von ihrem Haus aus sieht.

In immer wieder anderem Lichte erscheint er. Manchmal ist es violett-samtene Dunkelheit, in welche man sich einhüllen, ein andermal Bläue, in der man sich verlieren möchte. Es ist auf das Wesentliche beschränkte Malerei. «Manchmal muss ich mich fast zwingen, einmal etwas anderes als blaue Farbe zur Hand zu nehmen», bekennt die Künstlerin.

Isabella Stiner (St. Gallen) malt wie Christina Waidelich-Peter mit Ölfarbe und erzielt mit einer ganz anderen Technik in ihren Bildern ebenfalls erstaunliche Tiefenwirkung. Die gelernte Hochbauzeichnerin gebraucht Raster als Hilfsmittel, um «einen Moment aus dem unendlichen Raum einzufangen», wie sie es ausdrückt. Geometrische Formen, Rechtecke, Rhomben oder Quadrate legen sich in mehreren Schichten von jeweils unterschiedlicher Farbe übereinander. Sie scheinen in einer anderen, für unsere Augen nicht sichtbaren Dimension zu schweben. Mit kleinen Eingriffen wie einer anderen Farbreihenfolge verändert Isabella Stiner die Wirkung eines Bildes nachhaltig. Mit der Frage, was uns im Innersten zusammenhält, beschäftigt sich auch Michèle Mettler. Faszinierend und irritierend zugleich sind ihre eindrücklichen Fotoarbeiten, die eine Aura des Mysteriösen umgibt. Die St. Galler Künstlerin manipuliert ihre meist in Schwarzweiss gehaltenen Fotografien mit Siebdruckverfahren oder mit einem schwarzen Farbroller. Mettlers Gedanken scheinen häufig um den Kopf zu kreisen. Als ob sie durch die intensive Beschäftigung dem Geheimnis der Gehirns auf die Spur kommen und ergründen könnte, was in den Köpfen vorgeht. Von allen Seiten nähert sie sich dem Gegenstand, zeichnet Schädelnähte ein, trägt Akupunkturmeridiane auf. Aus einem der Köpfe lässt sie Libellenflügel wachsen und verleiht so den Gedanken Flügel.

Steine und Fotografien
Doris Müller-Luder (Teufen) formt aus Steinen Steine. Vielleicht ist dies etwas zu plakativ ausgedrückt, kommt der Philosophie der Künstlerin aber sehr nahe. Doris Müller-Luder ist Dekorationsgestalterin. Dem Stein will sie eine Form nicht abtrotzen, sondern dessen gewachsener Struktur folgen und seine natürlichen Maserungen freilegen. Das Resultat sind organische, sinnliche Skulpturen aus Marmor, Alabaster und Speckstein, die man unwillkürlich anfassen und über deren fein geschliffene Oberfläche man streichen möchte. Die Skulpturen fügen sich nahtlos in ihre Umgebung ein, sind Ruhepole und verfügen über eine fast meditative Ausstrahlung.

Die fünfte im Bunde ist Christine Ariès (Schaffhausen). Die Hochbauzeichnerin zeigt Fotobilder im «Kunst + Raum» der Interni AG . Sie findet ihre Motive häufig «on the road», fotografiert aus dem Auto, dem fahrenden Zug oder in den Ferien. Ariès fasziniert der städtische Raum. Die Bilder werden meist am Computer weiterbearbeitet. Was auf den ersten Blick durch seine Ästhetik besticht, ist mehr. Auf subtile Art scheint in den Arbeiten Zivilisationskritik auf.

Erschienen im St. Galler Tagblatt am 4.09.2009

Galerie Margrit Oertli: bis 6.9.; Kunst + Raum: bis 18.10.