St.Galler Tagblatt

Das Staunen nie verlernt

Mit ihren 83 Jahren und einem erfüllten Künstlerinnenleben könnte Ida Kobel sich getrost zurücklehnen – nichts läge ihr ferner, wie die neue Ausstellung zeigt.

Von Christina Genova

Sooft es geht, arbeitet Ida Kobel in ihrem Atelier, das sie sich mit ihrem Mann Fredi teilt. Es gibt so vieles, was sie gerne malen möchte. Eigentlich sollten es in diesem Jahr ja endlich Apfelbäume sein, aber schon ist es wieder Winter: «Wissen Sie, was mir fehlt?», sagt sie, «die Zeit!». «Joie de vivre», Lebensfreude, heisst eines ihrer neuen Werke. Lebensfreude gepaart mit unbändigem Schaffensdrang sind Eigenschaften, welche die Künstlerin auszeichnen.

Mit «Rückblick – Ausblick» zeigt Ida Kobel in ihren Galerieräumlichkeiten an der Rorschacher Strasse 9 einen Querschnitt ihres Schaffens der letzten Jahre, aber auch ganz neue Arbeiten.

Staunen über die Natur
Prägend für Ida Kobel war ihre Kinder- und Jugendzeit als Bergbauernmädchen im Bündnerland. Die Liebe zur Natur und das Staunen über ihre Schönheit begleiten sie bis heute und prägen ihr künstlerisches Schaffen. Die Blumen haben es ihr besonders angetan: Sonnenblumen, Rosen, Mohn und einen Tomatenstock, gemalt in satten Farben, findet man in der Ausstellung.

Schicksalhaft war für die Künstlerin die Begegnung mit Fredi Kobel. Ihm hat sie den Zugang zur Malerei zu verdanken. Kennengelernt hat sich das Künstlerpaar bei einem Kuraufenthalt in Arosa. «Er war mein Kurschatten», lächelt Ida Kobel verschmitzt. Dieser Schatten weicht ihr seit nunmehr über 50 Jahren nicht von der Seite. Fredi Kobel ist Idas Fürsprecher, Förderer, Bewunderer.

Eine Zäsur in Ida Kobels Leben war die Hirnblutung, die sie vor über 25 Jahren erlitt. Aus der Erfahrung heraus, in diesen schweren Stunden getragen worden zu sein, begegnen einem in ihren Bildern seither immer wieder Engel. «Ange papillon», ein Fresko-Engel mit Schmetterlingsflügeln, erinnert einen an die ungekünstelte Direktheit von Kinderzeichnungen und entlockt einem unwillkürlich ein Lächeln.

Eine intuitive Malerin
Ida Kobel beschäftigt sich in ihren Bildern mit den universellen Themen des Lebens: Dem ewigen Kampf zwischen Gut und Böse – «Engel und Dämon», dem Geheimnis der Schöpfung – «Es werde» und dem Tod – «Himmelsleiter». Eine natürliche Spiritualität fern von jeder Frömmelei wohnt ihren Werken inne. Die Künstlerin malt aus dem Bauch heraus: «Ich habe nie Papierkörbe gefüllt». Sie spürt intuitiv, welche Farbklänge harmonieren und in ihrer Beziehung zueinander eine besondere Wirkung entfalten. «Für mich ist die Farbe einfach alles», bringt die Künstlerin ihre besondere Gabe auf den Punkt, und um es mit den Worten ihres Mannes zu sagen: «Wenn man die Farben sieht, ist man Maler.»

Ida Kobel muss sich nicht neu erfinden, verharrt aber auch nicht im Bewährten. Ihre neuen Werke sind noch eine Stufe reduzierter, geometrischer. Farben und Flächen werden mit sicherem Gespür gesetzt und mit viel Weiss ergänzt. Es erfüllt sie mit Freude und Stolz, dass diese kontinuierliche künstlerische Weiterentwicklung belohnt wird mit einer Einladung ans diesjährige «Heimspiel», der alle drei Jahre stattfindenden Ausstellung zum Ostschweizer Kunstschaffen.

Bis 20.12., geöffnet Do 19–21 Uhr, Sa/So 10–12 und 14–17 Uhr; Rorschacher Strasse 9, St. Gallen

Erschienen im St.Galler Tagblatt am 21.11.2009