St.Galler Tagblatt

Den Stein im Griff

Ausstellung von Remy Rich in der Galerie vor der Klostermauer
St. Gallen. Sandstein, Marmor und andere harte Natursteine sind das Hauptmaterial, aus denen die Skulpturen und Reliefs des St. Gallers Remy Rich entstehen.

Remy Lüchinger alias Remy Rich ist eher der Typ «stiller Brüter». Aber wie es so schön heisst, stille Wasser gründen tief. Der St. Galler Künstler mit Jahrgang 1974 ist einer, der sich Gedanken macht. Was ihn beschäftigt, er aber nur schwer in Worte fassen kann, übergibt er dem Stein. Der gelernte Steinmetz beherrscht sein Handwerk, er verfügt über die Geduld und das Augenmass, die für das Arbeiten mit Stein nötig sind. Von der Ausführung her scheinen ihm kaum Grenzen gesetzt, er hat den Stein im Griff. Aber wie kann er dem, was ihn bewegt, am besten Ausdruck verleihen?

Bratwurst aus Alabaster
An Ideen mangelt es ihm nicht, wie die Ausstellung in der Galerie vor der Klostermauer zeigt. Er lässt sich von vielem inspirieren, probiert Materialien, Stile und Techniken aus. Mal arbeitet er mit Ton, dann auf Leinwand und natürlich immer wieder mit Stein. Die Vielfalt kehrt sich aber auch zum Nachteil, denn es entsteht der Eindruck eines Gemischtwarenladens. Man vermisst eine Linie: weniger wäre mehr gewesen.

Eine Werkgruppe setzt auf den Überraschungseffekt beim Betrachter: Das auf einen Sockel gestellte orange Schwimmflügeli wäre als Schwimmhilfe für ein Kind denkbar schlecht geeignet, denn Rich hat es täuschend echt aus Sandstein geformt. Reizvoll ist hier sein Spiel mit Schein und Sein. Man sollte den Stein aufblasen können, meint er. Die Beobachtungsgabe der Galeriebesucher stellt der Künstler mit einer Steckdose aus weissem Marmor auf die Probe. Geschickt hat er sie an einen Holzbalken befestigt, sodass es aussieht, als ob sie ihrem angeblichen Zwecke dienen würde. Mit feiner Ironie hat er dem kulinarischen Stolz der St. Galler ein Denkmal gesetzt: Man hat die Wahl zwischen einer Bratwurst aus Speckstein oder Alabaster.

Weich und rund
Mehrere seiner Skulpturen basieren auf der Grundform des Zylinders: Wie aneinander geklebte Schmetterlingskokons wirken die abstrakten Gebilde. Der abgerundete Zylinder taucht auch als Grundriss seiner Sandsteinreliefs auf, die er «Rennbahnen» nennt.

Ein wichtiger Antrieb für sein Schaffen scheint die Auseinandersetzung mit dem Faszinosum Frau zu sein. «Morula» lautet der Titel einer Skulptur aus Sandstein. Vier runde, pralle Brüste sind entkoppelt vom weiblichen Körper traubenartig angeordnet. Auffallend sind bei allen seinen Werken die weichen, runden Formen und das Streben nach Harmonie. Mehr Mut zu Ecken und Kanten, möchte man ihm zurufen.

Ausstellung bis 14. Mai; Sonntagsapéro 30.4., 10-12 Uhr; offen Do/Fr 18-20 Uhr, Sa 11-15 Uhr, So 10-12 Uhr

Erschienen im St. Galler Tagblatt am 26.04.2006