Der junge Luzerner Künstler Dominik Zietlow stellt seine Fotografien und Kugelschreiberzeichnungen in der Guerilla Galerie an der Jägerstrasse aus. Und er nutzt diese Woche den Raum als offenes Atelier zur Arbeit mit seinem Bildarchiv.
Von Christina Genova
Fotos hat Dominik Zietlow reichlich geschossen, als er im letzten Sommer sechs Tage von New Orleans nach Memphis unterwegs war. Nur erschienen ihm zu Hause die Schnappschüsse plötzlich austauschbar. Denn was bedeuten Ferienfotos noch in einer Zeit, in der wir dank des Internets die Welt per Mausklick auf den Bildschirm holen können? Früher, zu analogen Zeiten, lud man Freunde und Verwandte zum Diaabend und präsentierte die Bilder aus der grossen weiten Welt, die man bereist hatte.
Der Luzerner Künstler Dominik Zietlow, 1988 geboren, thematisiert die Überlagerungen von persönlichen Reiseeindrücken, Ferienfotos und virtuellen Reiseimpressionen an der Vernissage seiner Ausstellung «Fotographien» in der Guerilla Galerie mit einem Diavortrag der besonderen Art. Er wiederholte seine Amerikareise auf Google Street View und zeigte die dabei geschossenen Erinnerungsbilder mit Hilfe zweier Diaprojektoren, die, noch geeicht im Rhythmus einer anderen Zeit, die virtuelle Reisebilder in langsamer Folge projizierten.
Pro Blatt tausend Punkte
Die Guerilla-Galeristinnen Nadia Veronese und Kathrin Dörig folgen in ihrer zweiten Ausstellung an der Jägerstrasse weiter ihrem Konzept, jungen, sich noch in Ausbildung befindlichen Künstlern eine Plattform zu bieten. Dominik Zietlow besucht seit 2009 den Studiengang Medien und Kunst mit Vertiefung Fotografie an der Zürcher Hochschule der Künste. Der Ausstellungstitel «Fotographien» ist kein Schreibfehler, sondern bewusst so gewählt. Darin klingen zum einen die Veränderungen an, welche der Übergang von den analogen Photos zur digitalen Fotografie mit sich brachte; zum andern sind es nicht nur Fotos, sondern auch Graphien – Zeichnungen, Schreibungen im weitesten Sinne, die Zietlow an der Jägerstrasse zeigt.
Ausgangslage für seine Arbeit «11 000 Punkte und 200 Linien» waren ein Kugelschreiber, ein paar Blätter Papier und das Ziel, pro Blatt tausend Punkte oder hundert Linien zu setzen. In je vierzig bis fünfzig Minuten vollster Konzentration entstanden Variationen beziehungsweise Meditationen in Punkten und Linien – dreizehn Blätter mit elfmal tausend Punkten und zweimal hundert Linien. Da sind Punkte, dahin geworfen wie eine Handvoll Staubkörner; dort ein Versuch, in der Tradition der japanischen Kalligraphie, das Enso, den perfekten Kreis, nicht mit Pinsel und Tusche, sondern mit Kugelschreiber-Punkten zu erzielen. Auf einem anderen Blatt sieht man hundert freihändig gezogene Linien, von denen keine die andere berührt. Immer nur so weit denken wie bis zum Setzen des nächsten Punktes oder zum Ziehen der nächsten Linie, zählen und punkten, zählen und ziehen – der Weg ist das Ziel.
Ordnen, sortieren, reflektieren
Das Tempo drosseln, zur Ruhe kommen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren – das sind Themen, die Dominik Zietlow beschäftigen. Deshalb nutzt er ab heute eine Woche die Guerilla Galerie als Atelier, um das Bildarchiv auf seiner Festplatte zu entrümpeln. Eine leere Wand, ein Computer und ein Drucker stehen ihm zum «ordnen, sortieren, produzieren, reflektieren und reproduzieren» zur Verfügung; Interessierte sind eingeladen, ihm dabei zuzusehen. Im besten Falle entstehen daraus erwerbbare Editionen und der «Artist in residence» wird zum «Artist in renaissance», wie der Künstler schreibt.
Erschienen im St. Galler Tagblatt vom 11.7.2011