Seit zehn Jahren lebt die gebürtige Speicherin Tina Roth Eisenberg in Brooklyn, New York. Über eine halbe Million Leute besuchen monatlich ihren Blog www.swiss-miss.com – darunter auch angesehene Designer.
Von Christina Genova
Speicher/New York. Montagmorgen in Speicher, ein wunderschöner Sommertag kündigt sich an. Das Appenzellerland zeigt sich von seiner besten Seite – Wiesen wie grün lackiert, Kühe die grasen. So präsentiert sich die Aussicht von Tina Roth Eisenbergs Ferienhaus. Sie ist mit ihrer Familie, der dreijährigen Ella und ihrem Mann Gerry Eisenberg zurückgekehrt nach Speicher, dem Ort, wo sie aufgewachsen ist. Seit mittlerweile zehn Jahren lebt und arbeitet die 35-Jährige in New York, mitten in Brooklyn. Zwar fährt die ausgebildete Designerin mit dem Velo zur Arbeit, um aber Kühe sehen zu können, muss sie sich für zwei Stunden ins Auto setzen.
Crème de la Crème zu Besuch
Tina Roth Eisenberg hat sich in New Yorker Designerkreisen dank ihres Blogs «Swiss Miss» (www. swiss-miss.com) einen Namen gemacht. Seit vier Jahren schreibt sie darin kurze Beiträge zu Designthemen. Eingerichtet hatte sie den Blog ursprünglich für sich selbst, als visuelles Tagebuch. Mittlerweile wird Swiss Miss monatlich von 600 000 Leserinnen und Lesern abgerufen.
Darunter sind Leute wie Khoi Vinh, Design-Direktor der Webausgabe der New York Times, oder Paola Antonelli, Kuratorin beim Museum of Modern Art, die zur Crème de la Crème der New Yorker Designerszene gehören. Noch etwas ungläubig stellt Tina Roth Eisenberg fest: «Die Design-Ikonen, die ich bewundere, lesen meinen Blog und schauen regelmässig nach, was ich zu sagen habe.»
Als Tina Roth Eisenberg 1999 mit einem Abschluss in Kommunikationsdesign der Münchner Fachhochschule für Kunst in der Tasche nach New York reiste und sich für ein Praktikum bei einem Designbüro bewarb, bekam sie gleich den Zuschlag: «Ich kam einfach frech ohne einen Papierausdruck zum Vorstellungsgespräch und sagte, mein Dossier sei online. Ich glaube darum haben sie mich auch genommen, denn damals war es noch nicht so üblich, eine eigene Website zu haben.»
Job verloren nach 9/11
Dann aber kam der 11. September 2001, die Twin Towers stürzten ein und Tina Roth Eisenberg gehörte zu denjenigen, die von Staub bedeckt flüchteten. Die Wirtschaft brach ein und sie verlor ihren Job. Andere in dieser Situation hätten aufgegeben, nicht aber die gebürtige Ausserrhoderin. Sie hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, lebte von zehn Dollars pro Tag.
Nach einem Jahr fand sie wieder eine feste Anstellung in einem renommierten Designbüro. Von da an ging es nur noch aufwärts. Zwei bis drei Stunden verwendet Tina Roth Eisenberg täglich darauf, im Netz nach Trouvaillen zu suchen. In ihren Blog findet alles Eingang, was ihr gefällt, ihr ins Auge sticht oder sie zum Schmunzeln bringt: Eine Hülle aus Kuhfell für den iPod, ein T-Shirt mit Pferdeschwanz als Rückenansicht, das Video vom Weltrekordversuch im Matratzendomino oder ein Konstruktionsspiel.
Worin liegt das Geheimnis ihres Erfolgs? Zum einen schätzen die Leser die Filterfunktion, die Tina Roth Eisenberg im unüberschaubar gewordenen Web für sie übernimmt. Sie hat ein sicheres Gespür für gutes Design und in der Auswahl der vorgestellten Fundstücke spiegelt sich ihr ganz eigener, unverwechselbarer Stil. Sie schreibt voller Witz, ihre Begeisterung ist echt und das macht sie glaubwürdig.
Zum andern begegnet sie ihren Lesern mit Respekt und schätzt sie als Partner: «Ich bekomme so viele gute Hinweise zugeschickt. Ich glaube daran, dass man sich dafür bedanken und sagen muss, wenn man etwas nicht selbst gefunden hat.» Am Ende des Blogeintrags gibt es deshalb ein Dankeschön für den Tipgeber und einen Link zu dessen eigenem Blog. Das sporne ihre Leser dazu an, sie mit immer neuen Ideen zu versorgen und so versiegten ihre Quellen nie.
Speicher in «Outher Rhoden»
Ein ebenfalls nicht zu unterschätzender Erfolgsfaktor ist ihre «Swissness»: «Schweizer Grafik geniesst in meiner Branche ein extrem hohes Ansehen, und davon profitiere ich», sagt die Designerin. Die Headline ihres Blogs lautet denn auch «A swiss designer gone New York City». Das Swiss im Namen ihres Blogs ist Tina Roth Eisenberg aber auch Verpflichtung. Immer wieder schreibt sie über die Schweiz im allgemeinen und Schweizer Design im besonderen. Das macht bei ihren Lesern Lust auf mehr.
Davon hat man mittlerweile auch bei Schweiz Tourismus Wind bekommen und arbeitet jetzt mit der Bloggerin zusammen. Gerne und häufig erwähnt Tina Roth auch, wo sie aufgewachsen ist. Dank ihr hat wohl mancher New Yorker zum ersten Mal etwas gehört von Speicher, Appenzell Outher Rhoden, Eastern Switzerland.
Promi-Status in NYC
Der Erfolg ihres Blogs ermöglichte ihr 2006 den Schritt in die Selbständigkeit. Ihr Swissmiss-Studio ist auf Webdesign spezialisiert.
«Viele Anfragen bekomme ich nur wegen meines Blogs», erzählt Tina Roth Eisenberg. Die Leute merken, dass ich mich auskenne im Web und engagieren mich genau deshalb. Ich stelle ja nicht nur schöne Tassen vor, sondern auch neue Technologien fürs Web.» Der Blog, so Roth weiter, sei für sie «das beste Marketinginstrument».
Swiss-miss.com hat Tina Roth Eisenberg in New York zu einer beachtlichen Prominenz verholfen. Sie wird zu Vorträgen eingeladen und von den lokalen Medien interviewt.
Seit einigen Monaten organisiert sie ihre eigene Vortragsreihe, die «Creative Mornings». Dabei geht es darum, einmal pro Monat Designinteressierte zu einem zehnminütigen Vortrag mit Frühstück und anschliessender Diskussion einzuladen. Mitte Juli hat sie den Anlass erstmals in Zürich mit Daniel Freitag, einem der Erfinder der Freitagtaschen, durchgeführt.
«Den Schweizern zu schnell»
Zurück in die Schweiz zieht es Tina Roth Eisenberg nicht. Sie kommt zwar gerne zu Besuch, nach einer guten Woche aber schon spürt sie Heimweh nach Brooklyn. «Hier in der Schweiz», sagt sie, «bin ich den Leuten zu schnell. Ich denke zu schnell, ich rede zu schnell und sie sind dann überfordert. In New York hingegen, sind alle so wie ich.» Tina Roth Eisenberg ist angekommen, in der Stadt die niemals schläft und deren Herz im selben Takt schlägt wie ihres.
Erschienen in der Appenzeller Zeitung am 11.08.2009