St.Galler Tagblatt

Im Dialog miteinander

Der Mensch als Inspirationsquelle verbindet die Kunstschaffenden Rita Hüttenmoser und Reto Kern, die in der Galerie Werkart unter dem Titel «Sehend-Sein» gemeinsam ausstellen.

Von Christina Genova

Rita Hüttenmoser und Reto Kern versuchen, den Menschen in grösstmöglicher Abstraktion abzubilden. Rita Hüttenmoser beschäftigt sich darüber hinaus mit den Grunderfahrungen der menschlichen Existenz und den damit verbundenen Emotionen. In ihren ausdrucksstarken Bildern verarbeitet sie die Höhen und Tiefen des Lebens und damit auch ihre persönlichen Erfahrungen. Immer spürbar ist eine tiefe Hoffnung und Zuversicht. Die Auseinandersetzung mit einer Thematik beginnt häufig mit einem selbstverfassten Text.

Auf der Strasse des Lebens
Die zarten, menschlichen Figuren, die man in ihren Bildern oft erst auf den zweiten Blick entdeckt, fügen sich dezent in die ansonsten abstrakten Werke der Künstlerin ein. Akzentuiert sind nur der kleine, ovale Kopf und der bauchige Oberkörper. Die Figuren legen sich zu einer Art Code, der je nach Anordnung anders zu lesen ist. Es geht um den Menschen in Beziehung zu sich und den andern, um Einsamkeit, Zweisamkeit und den persönlichen Freiraum. Einen besonderen Bezug hat Goldacher Künstlerin auch zu Farben und ihrer Symbolik. Die ausgebildete Farbdesignerin verwendet in ihren Bildern häufig Bitumen. Mit dieser bräunlich-schwarzen Farbe streicht man Gartenzäune, um sie vor der Witterung zu schützen. Bitumen ist aber auch Bestandteil von Asphalt und damit für die Künstlerin Sinnbild für die Strasse des Lebens, auf der wir uns bewegen.

Risse und Spalte integriert
Dunkel-schwarz sind auch viele der filigranen Holzfiguren des St. Galler Künstlers Reto Kern; einen Effekt, den er erzielt, indem er sie mit dem Bunsenbrenner ansengt. Nicht nur deshalb erinnern sie einen an die Figuren in Rita Hüttenmosers Bildern, sondern auch, weil sie ähnlich abstrakt gestaltet wurden, mit den charakteristisch ovalen Köpfen, ohne Arme und meist ohne weiter definierten, lang gezogenen Unterkörper. Skulpturen und Bilder scheinen miteinander in den Dialog zu treten.

Manchmal belässt der Künstler es beim rohen Holz, so auch bei der Figurengruppe aus Birnbaumholz, die direkt aus dem Holz zu wachsen scheint. Wunderschön hat er dessen Maserung zum Vorschein gebracht, Risse und Spalten sind nicht kaschiert, sondern in die Skulptur integriert. Manche der Figuren erinnern an Engel, man entdeckt eine schwangere Frau, aber die meisten davon sind stark abstrahiert und es ist unmöglich zu sagen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt.

Ohne Entwürfe
Reto Kern, der auch als Möbelbauer tätig ist, sieht die Figur, die entstehen soll, bevor er das Holz bearbeitet hat. Er muss sie nur noch daraus befreien, und diese Befreiung muss schnell gehen, denn der Künstler bezeichnet sich selbst als keinen besonders geduldigen Menschen. Deshalb fertigt Kern auch keine Entwürfe an; er schneidet seine Menschen direkt mit der Motorsäge aus dem Holz. Der Gegensatz zwischen dem martialischen Arbeitsinstrument und den filigranen Figuren könnte nicht grösser sein.

Bis 19.12., Galerie Werkart, St. Gallen; So-Apéro 7.12, 12–15 Uhr, Finissage 19.12, ab 18 Uhr

Erschienen im St. Galler Tagblatt am 02.12.2008