St.Galler Tagblatt

Glaubenssachen

«Reliquien und Relikte» lautet der Titel der die Phantasie anregenden Ausstellung von Armin Kleger. Der Künstler aus Rehetobel stellt zum zweitenmal in der Galerie vor der Klostermauer aus.

Von Christina Genova

Reliquien und Relikte. Die beiden Begriffe bezeichnen in ihrer Grundbedeutung ein und dasselbe, nämlich Überreste. Relikt ist der neutralere Begriff, als Reliquien hingegen bezeichnet man besonders kostbare, oft auch religiös aufgeladene Überbleibsel. Der Künstler, der ganz augenscheinlich auch ein Sammler ist, präsentiert neunzig davon in einer sehr persönlichen Ausstellung. Armin Kleger lebt und arbeitet in Rehetobel. Die Ausstellung entstand in Zusammenhang mit seiner Diplomarbeit an der Höheren Fachschule für «Visuelle Kommunikation» an der Schule für Gestaltung der GBS.

Fundstücke in Stoff gehüllt
Vierzig Reliquien hat Armin Klegers Mutter gemäss seinen Anweisungen in kleine Stoffbeutel genäht. Jeder der Stoffe wurde individuell ausgesucht und mit Knöpfen oder Perlen aus Naturmaterialien verziert. Die ihm wertvollen Stücke sollten ein angemessenes Kleid erhalten, gleichzeitig erweist er damit dem katholischen Reliquienkult seine Reverenz. Man pflegte nämlich körperliche Überreste von Heiligen oder Gegenstände, die in Verbindung zu ihnen standen, in kostbare Stoffe einzunähen. Bewusst hat Armin Kleger helle, durchscheinende Stoffe ausgewählt, die im besten Fall erlauben, einen Blick auf die Reliquie zu erhaschen oder zumindest ihre Umrisse zu erahnen.

Nun hängen sie da, hübsch aufgereiht an der Galeriewand, eines am andern, ob nun Reliquie oder nur Relikt, jedes Stück ist dem Künstler gleich heilig. Hinter jedem Fundstück steckt eine ganz persönliche Geschichte und jedes davon ist eine Einladung, sich auf eine poetische Gedankenreise zu begeben.

Geheimes und Ausgefallenes
Den entscheidenden Hinweis für den Take-off liefern die Werktitel. Da ist zum Beispiel Reliquie Nummer 33, «die kleine hexe [alraune getrocknet]». Alraune, allein schon der Klang dieses Wortes ist Poesie. Nachdem der Künstler alle Drogerien und Reformhäuser der Stadt vergebens nach dem magischen Kraut abgeklappert hatte, nahm ihn die schwarz gekleidete Lehrtochter im Reformhaus zur Seite und gab ihm den entscheidenden Tip. Wohin sie ihn schickte, bleibt ein Geheimnis. Das Werk ist übrigens unverkäuflich.

Armin Klegers Reliquienkabinett ist mit den ausgefallensten Trouvaillen bestückt. Darunter sind Fundstücke aus seiner Zeit als Zeichner im Amt für Archäologie des Kantons Thurgau, zum Beispiel Nr. 4 «golgatha [eichenholz datiert 33 n chr]» oder Nr. 40 «chriesisäckli [kirschkerne cirka 2000 jahre alt]». Sein Bruder hingegen, der im Basler Zoo arbeitet, versorgt ihn mit so absonderlichen Dingen wie Nilkrokodilzähnen (Nr. 18: «der tod auf dem nil») oder getrockneten Katzenhaieiern (Nr. 14: «schöpfung»).

Freier Lauf für die Phantasie
Offensichtlich ist auch das Faible des Künstlers für Russland. Nicht nur, dass sich unter den Reliquien zum Beispiel ein Stück Kremlmauer befindet. Er hat auch in langen Nächten russische Klassiker der Weltliteratur wie «Anna Karenina» fein säuberlich zu Papierfetzchen gerissen und mit Kleister zu Würfeln gepresst.

A propos Würfel: Forderten bereits die Reliquienbeutel die Imaginationskraft der Betrachter, stellt einen Armin Kleger einen Stock höher vor ungleich grössere Herausforderungen: Der Künstler hat dort vierzig weitere Objekte in Würfel aus Kalkmörtel gegossen. Bis auf wenige Ausnahmen verraten sie wenig über ihren geheimnisvollen Inhalt. Den einzigen Anhaltspunkt liefern die Werktitel, die, so poetisch sie klingen mögen, sehr viel Interpretationsspielraum offen lassen. Wir dürfen, wir müssen sogar unserer Phantasie freien Lauf lassen. Und ob der Künstler tatsächlich ein Objekt im Kalkmörtel versenkt hat, bleibt allein unserem Glauben überlassen.

Armin Kleger bietet uns Talismane, an deren magische Wirkung man glauben möchte, die andererseits aber selbst Zeugnis ablegen von der Vergänglichkeit der Welt. Ideologien und Religionen kommen und gehen, was tröstlich und beunruhigend zugleich erscheint. Woran lohnt es sich zu glauben? Eine Antwort, die uns Armin Kleger in seiner Ausstellung schenkt, lautet: an die Schönheit und an die Poesie.
Bis 27. Juli, Do/Fr 18-20, Sa 11-15 Uhr; So-Apéro am 20. und 27.7., jeweils 10-14 Uhr; Galerie vor der Klostermauer, Zeughausgasse 8

Erschienen im St. Galler Tagblatt am 18.07.2008