St.Galler Tagblatt

Das absolute Farbgefühl

Heute wird in der Klinik am Rosenberg die Ausstellung von Harlis Schweizer eröffnet
Heiden. Die in Teufen aufgewachsene Künstlerin Harlis Schweizer zeigt eine Retrospektive aus zehn Jahren ihres Schaffens. Es ist das Fremde, das die Künstlerin immer wieder fasziniert.

Harlis Schweizer beobachtet gerne Menschen. Im Bus, am Strand, auf dem Spielplatz – an Orten, wo viele Menschen zusammenkommen und man trotzdem unbemerkt bleibt. Ihre Umgebung dient der Künstlerin als unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Davon erzählen auch ihre Bilder. Auffallend viele zeigen dunkelhäutige und fremdländisch aussehende Frauen. Das Fremde fasziniert die Künstlerin, die selbst zwei Kulturen in sich trägt und durch die Liebe eine weitere dazu gewonnen hat. Die Schönheit und Anmut der Frauen zieht sie an und ausserdem, meint sie, «merken es die Männer immer gleich, wenn man sie beobachtet.»

Atelier in Gais
In ihrer Ausstellung in der Klinik am Rosenberg in Heiden zeigt Harlis Schweizer bis Ende September eine Retrospektive ihres Schaffens der vergangenen etwa zehn Jahre. Die 1973 geborene Künstlerin ist in Teufen aufgewachsen und hat längere Zeit in Lausanne gelebt. Seit drei Jahren wohnt sie mit ihrem Mann und den zwei Kindern in St. Gallen. Ihr Atelier in Gais hat sie auch während ihrer Westschweizer Zeit immer behalten, es blieb Zufluchts- und Bezugspunkt.

Harlis Schweizer beobachtet und ist dabei stets auf der Suche nach dem ganz besonderen Moment, einer Stimmung, einem Gesichtsausdruck, dem magischen Augenblick, der sich einbrennt ins Gedächtnis und der danach ruft, auf die Leinwand gebannt zu werden, denn: «Gewisse Dinge kann man nur mit Bildern, nicht mit Worten ausdrücken.» Sie malt vorwiegend in Öl auf Leinwand. Diese klassische Technik wird von ihr neu interpretiert. Dicke, übereinander gespachtelte Farbschichten sucht man vergebens.

Sie trägt im Gegenteil die Ölfarbe manchmal so stark verdünnt auf, dass sie fast transparent erscheint.

Tiefe durch Farben
Überhaupt besitzt die Künstlerin bezogen auf Farben wohl das, was man in der Musik das absolute Musikgehör nennt. Unbekümmert trägt sie scheinbar unmögliche Farbkombinationen auf und benutzt auch Leuchtfarben wie neongelb und -orange. Oft erhalten ihre Bilder, die sonst kaum perspektivisch gemalt sind, allein durch die geschickte Farbwahl Tiefe. Mit Farben drückt sie Stimmungen und Gefühle aus: «Im Regen», steht eine Frau, das Wasser rinnt regengrün an ihr herunter und hüllt sie ein wie in ein Kleid, bis sie fast eins wird mit dem Regen. Mit Farben fängt die Künstlerin aber auch ganz in der Tradition des Impressionismus einen speziellen, flüchtigen Eindruck von Farbe und Licht ein: Ein Wintermorgen über dem Appenzellerland, «die blaue Stunde», die ganze Landschaft liegt eingetaucht in blaues Licht. Das Appenzellerland reduziert sie auf das Wesentliche, ein paar Häuserkonturen, eine angedeutete Hügellandschaft nur, und doch ist es unverkennbar das Appenzellerland.

Immer wieder lotet die Künstlerin in ihren Bildern gekonnt die Grenzen zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit aus. Ein wichtiges Thema ist auch die Beziehung zwischen Mensch und Raum. Wie viel Raum erträgt der Mensch, ohne sich darin zu verlieren? Erstaunlich viel, lautet die Antwort der Künstlerin. «Hamza à la plage de Vidy»: Ein kleiner Junge in Badehosen steht ganz allein im Wasser, rund um ihn herum nur Blau. Vom selben Blau sind die Streifen des Schwimmrings, den er um die Hüften trägt, Blau verschmilzt mit Blau.
Harlis Schweizer, Malerei – Ausstellung bis Ende September in der Klinik am Rosenberg, Heiden Vernissage: Heute, 19. Juni, 19 Uhr

Erschienen im St. Galler Tagblatt am 19.06.2008