Ausstellung von Tobias Schlatter in der Galerie vor der Klostermauer
St. Gallen. Noch bis Ende Woche zeigt der in St. Gallen lebende Tobias Schlatter seine Zeichnungen in der Galerie vor der Klostermauer, die zwischen 1998 und 2006 entstanden sind.
Angefangen hat alles vor bald fünfzehn Jahren mit «Tagezeichnungen», wie Tobias Schlatter sie nannte. Der Künstler, reformierter Pfarrer von Beruf, begann damals ein Tagebuch in Form von Zeichnungen zu führen. Jeden Tag setzte er sich für eine Viertelstunde hin, um zu zeichnen. Bald einmal reichte der ursprünglich vorgesehene Zeitrahmen nicht mehr aus. Für eine Zeichnung benötigte er nicht mehr Minuten, sondern Stunden, Tage oder sogar Wochen. Eine Lebenskrise führte dazu, dass das Zeichnen zum zentralen Bestandteil des Tagesablaufs wurde. Zeitweise verbrachte er täglich mehrere Stunden am Zeichentisch. Das Zeichnen gab ihm Halt und Struktur in schwierigen Zeiten. In seiner ersten Einzelausstellung in der Galerie vor der Klostermauer zeigt der seit zehn Jahren in St. Gallen wohnhafte Künstler Zeichnungen, die zwischen 1998 und 2006 entstanden sind. Mit wenigen Ausnahmen tragen sie keine Titel, sondern nur das Anfangs- und Enddatum ihrer Entstehung.
Geduld und Ausdauer
So bescheiden wie das Auftreten des feingliedrigen Künstlers ist sein Arbeitswerkzeug. Mit viel Geduld und Ausdauer strichelt Tobias Schlatter mit dem immergleichen Druckbleistift zarte Bilder, die sich zwischen dem Gegenständlichen und Ungegenständlichen bewegen. Im Laufe der Jahre sind zum Bleistift auch Farbstifte hinzugekommen, wobei Tobias Schlatter Farben sehr dosiert einsetzt. Dass ein Bleistift nicht einfach nur grau oder schwarz ist, sondern man damit die unterschiedlichsten Farbnuancen und Stimmungen erzeugen kann, dafür erbringt der Künstler mit seinen Zeichnungen den besten Beweis. Das Gerüst einer Zeichnung bilden wenige, grob skizzierte Linien. Für die Feinarbeit geht der Künstler dann sehr intuitiv vor. Die Entscheidung darüber, ob er den Bleistift an einer Stelle mit etwas mehr oder weniger Druck aufsetzt, fällt aus dem Moment heraus.
Tobias Schlatter gehört nicht zu den Künstlern, die ihre Herausforderung darin suchen, möglichst viele Stilrichtungen und Techniken auszuprobieren. Beständigkeit bedeutet ihm viel, das zeigt sich allein schon darin, dass er für seine Zeichnungen zehn Jahre lang dieselbe Papiersorte verwendet hat. Als diese eines Tages nicht mehr produziert wurde, liess er sich vom Fachhändler überzeugen, es einmal mit Ingrespapier zu versuchen. Jenes weist eine subtile, aber gut erkennbare Rillenstruktur auf, die ausgezeichnet zu seiner Stricheltechnik passt.
Der Berg ruft
Als zentrales, immer wiederkehrendes Motiv findet man in seinen Zeichnungen den Berg. Aus einem inneren Drang heraus, der manchmal fast zum Zwang wurde, zeichnete er während Jahren Berge. Es ist der mütterliche Berg, der einem fast körperliche Geborgenheit schenkt, der aber andererseits allein durch seine Masse und Dimensionen zur Bedrohung werden kann. Deshalb gibt es auch immer eine Fluchtmöglichkeit, einen Pass, einen Durchgang oder eine Felsspalte, die einen Ausweg aus der Umklammerung bietet. In den letzten zwei Jahren haben seine Zeichnungen merklich an Farbe zugelegt und wirken erstaunlich verspielt. Berge sind keine mehr auszumachen. Die Zeichnungen, die für den Künstler lange Zeit ein Mittel dazu waren, sich mit sich selbst und seinem Innersten auseinander zu setzen, haben eine neue Dimension gewonnen. Zum Ich ist ein Du hinzugekommen.
17.12., Sonntagsapéro, 10-12 Uhr
Erschienen im St. Galler Tagblatt am 12.12.2006