St.Galler Tagblatt

Walsertexte, kalligrafisch

Susanne Breitenmoser präsentiert ihre «Schriftbilder» in der Galerie Oertli
St. Gallen. Kalligrafin Susanne Breitenmoser hat Texte von Robert Walser zu «Schriftbildern» gestaltet, die einen sinnlich-zeitlosen Zugang zu den Walser-Zitaten vermitteln.

Trotz oder vielleicht gerade wegen E-Mail und SMS gibt es sie auch heute noch: Menschen, die sich von Berufes wegen mit dem Schönschreiben beschäftigen. Zu ihnen gehört Susanne Breitenmoser. Die ausgebildete Kalligrafin erteilt Kurse und erhält Aufträge vor allem in Zusammenhang mit den grossen Festen des Lebens: Geburt, Taufe und Hochzeit. Was die Schreibkünstlerin in der Galerie Oertli in ihrer ersten Einzelaustellung unter dem Titel «Schriftbilder» präsentiert, hat aber nicht mit Arbeit, sondern mit Vergnügen zu tun. Wobei man dies bei einem Beruf, der wohl mehr Berufung ist, nicht wirklich voneinander trennen kann.

Susanne Breitenmosers ausgestellten «Schriftbildern» vorausgegangen ist eine zweijährige intensive Beschäftigung mit Leben und Werk des Schriftstellers und Dichters Robert Walser, dessen Todestag sich dieses Jahr zu Weihnachten zum fünfzigsten Mal jährt. Zum ersten Mal mit Walser in Kontakt gekommen ist die Schriftkünstlerin bereits als Konfirmandin, als sie dessen Roman «Räuber» geschenkt bekommen hat. Die Lektüre empfand sie damals als mühsam, trotzdem hat dieser Schriftsteller sie nie mehr ganz losgelassen. Die Zitate, die sie in Schönschrift auf über siebzig Blättern festgehalten hat, sind Fundstücke aus dem ganzen Werk Robert Walsers. Sie lässt die Leser und Betrachter teilhaben am reichen Ertrag ihrer Lese-Streifzüge, wobei sie noch Material für hundert weitere gehabt hätte.

Sorgfalt und Respekt
Wunderbar altmodisch und an längst vergangene Zeiten erinnernd, aber auch zeitlos erscheint einem die Verbindung von Kalligrafie und Literatur. Passenderweise liegt die Stiftsbibliothek nur einen Katzensprung von der Galerie und vom Atelier der Künstlerin entfernt. Die Schreibkünstlerin verleiht jedem einzelnen der von ihr ausgewählten Walser-Zitate durch die kalligrafische Umsetzung einen besonderen Wert. Für jedes Zitat hat sie dabei eine ihr passend scheinende Schrift und Illustration gewählt. Die darauf verwandte Sorgfalt und der spürbare Respekt vor dem Werk von Robert Walser überträgt sich auch auf den Betrachter. Die «Schriftbilder» laden ein, das gewohnte Lesetempo zu drosseln und sich Satz für Satz einzulassen auf die Welt Walsers. Es lohnt sich, denn Susanne Breitenmoser hat auf ihren Lese-Reisen durch das «Bleistiftgebiet» einiges an zeitlosen Lebensweisheiten und Poesie zutage gefördert.

Von den vorgegebenen Schreibschriften hat sie sich längst gelöst und ihre eigenen Schriften entwickelt, die an den Charakter von Handschriften gelehnt sind. Die meisten ihrer Tinten stellt sie selbst her. Zumeist verwendet sie blauschwarze Eisengallustinte, wie schon die Mönche im Gallusklosters vor tausend Jahren, aber auch eine braune Tinte aus dem Sud von Nussbaumschalen.

Vom Büttenpapier zur Leinwand
Im Zentrum der einzelnen Schriftbilder steht immer der Text. Dessen Aussage versucht Susanne Breitenmoser mit Farbassoziationen zu unterstreichen. Wunderschöne Effekte, die an die Unendlichkeit des nächtlichen Sternenhimmels erinnern, erzielt sie, indem sie Blautinte mit Essigsäure auflöst. Sie hält sich an eher gedämpfte Gouache- und Aquarellfarben, meist sind Zitat und Illustration klar von einander getrennt. Am spannendsten wird es, wenn sie – noch etwas zögerlich zwar – zu experimentieren beginnt, und Text und Illustration ineinander übergehen. Auf Ermunterung der Galeristin Margrit Oertli begann die Kalligrafin – die sonst nur auf Büttenpapier schreibt – auf Leinwand zu malen. Diese hat den Vorteil, dass sie, im Gegensatz zum Büttenpapier, auch Fehler verzeiht, da man sie einfach wieder übermalen kann. Ausserdem ermöglicht die Leinwand eine ungeahnte Grosszügigkeit. Entstanden sind wirkliche «Schriftbilder», die an die Arbeiten der grossen arabischen Kalligrafen erinnern. Das Walser-Zitat überzieht die ganze Leinwand wie ein Ornament und ist dabei selbst die Illustration.

Bis Sonntag, 12.11., Galerie Oertli, Mühlensteg 3 St. Gallen, täglich 16-19 Uhr oder auf Anfrage

Erschienen im St. Galler Tagblatt am 08.11.2006