St.Galler Tagblatt

Nah und fern

Esther Jakob stellt in der Galerie vor der Klostermauer aus
St. Gallen. Die St. Galler Künstlerin Esther Jakob ist zu neuen Horizonten aufgebrochen und hat dabei zu ihren Stärken gefunden.

Das zierliche, fast zerbrechliche Äussere von Esther Jakob kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass in ihrem Innern ein Feuer brennt. Seit bald 15 Jahren verfolgt die ausgebildete Kindergärtnerin und Handarbeitslehrerin mit Ausdauer den Weg ihrer künstlerischen Weiterentwicklung. Sie hat verschiedene Ausbildungen im gestalterischen Bereich absolviert und ist mittlerweile selbst Kursleiterin.

Beeindruckend ist, wie sich ihre Werke allein seit ihrer ersten Einzelausstellung im vergangenen Jahr verändert haben. Damals noch hat sie Bilder in zerfliessenden Farben gemalt, die an Monet oder an anthroposophische Kunst erinnern. Was sie nun in der Galerie vor der Klostermauer ausstellt, erscheint wie aus dem Nebel aufgetaucht, hat Form und Gestalt angenommen. Die Künstlerin hat zu einer Malerei gefunden, die ihren Stärken entspricht. Die unter dem Titel «Horizonte» ausgestellten Arbeiten bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Sehnsucht nach der Ferne und Verbundenheit mit dem Vertrauten. Letzteres kommt vor allem in ihren Briefmarkenbildern zum Ausdruck. Esther Jakob hat ganz persönliche Wertzeichen entworfen und als Motive ihre Lieblingsorte in der Region gewählt. Sie sind eine Liebeserklärung an St. Gallen und seine Umgebung. Die Briefmarken hat sie mit Farbstift in Originalgrösse gezeichnet. Jedes Detail, bis hin zum Poststempel, stimmt. Zu ihren bevorzugten Motiven gehört Drei Weieren. Häufig ist die Künstlerin mit der Kamera unterwegs. Die heimgebrachten Fotografien bilden dann den Ausgangspunkt für ihre kleinformatigen Kunstwerke. Zu jeder Briefmarke gehört auch eine stimmige Erläuterung zum Motiv. Die Worte hat Esther Jakob mit Bleistift so klein geschrieben, dass auf der Vernissage eine Lupe zirkuliert. Die Künstlerin zwingt uns sanft, genau hinzuschauen. Sie will die Augen der Betrachtenden für die kleinen Dinge schärfen. Das Format der Briefmarke hat sie mit Bedacht gewählt. Aber trotzdem ist da die Sehnsucht, in die Ferne zu schweifen. Denn Briefmarken kann man in alle Welt verschicken.

Ganz stark kommt dieses Fernweh in den ausgestellten Acrylbildern zum Ausdruck. Sie erzählen vom Ausbrechenwollen, von der Sehnsucht nach der Weite, nach dem Himmel und nach dem Meer. Scheinbar unüberwindbare Lattenzäune und Türen versperren die Sicht. Trotzdem besteht Hoffnung, denn durch Schlüssellöcher oder Ritzen kann man einen Blick erhaschen auf das vorerst Unerreichbare. Hoffnungsträger sind auch die täuschend echt gemalten Fliegen oder der Schmetterling, die man auf fast allen Werken der Künstlerin entdecken kann.

Morgen So, Sonntagsapéro, 10-12 Uhr, bis 8. Oktober

Erschienen im St. Galler Tagblatt am 23.09.2006