Uraufführung des Stücks «Goldi – ein Stück Glück» im Figurentheater
St. Gallen. Das Figurentheater Fleisch und Pappe erzählt, inspiriert von den Kinderbüchern, Bildern und Texten des Künstlers Karl Uelliger, die vielschichtige Geschichte einer Selbstfindung.
Die Geschichte beginnt ganz und gar nicht märchenhaft – im grauen Büroalltag: Ein gestresster Manager feilt an einer Rede, hackt verzweifelt in seinen Laptop und nimmt immer entnervter Telefonate entgegen. Bis der Druck zu viel wird und er zusammenbricht; es ist ihm zum Sterben zumute. Ein klassischer Fall von «Burnout», könnte die Diagnose lauten, ein Fall für den Psychiater. Der graue Mann aber legt sich nicht auf die Couch – er läuft davon.
Vom Alltag in die Märchenwelt
Schritt für Schritt entfernt er sich vom Alltag und nähert sich der Märchenwelt. Immer weiter läuft er, durch den Wald, durch Schlamm und Dreck, bis er zur Steinwüste kommt. Er will zurück in die Stadt, aber vorerst gibt es kein Zurück. Nebel steigt auf. Immer dichter wird er darin eingesponnen und endlich findet der Mann Erlösung im Schlaf. Fräulein Nebelschwade entschwebt dem Butterfass der Hollemutter. Als bodenständige Mutterfigur führt sie in breitem Bernerdialekt durchs Stück. Das Nebelfräulein legt dem schlafenden Mann einen Morgenrotmantel um und lässt ihn so zu Goldi werden. So nimmt eine abenteuerliche Reise ihren Anfang.
Vielfältige Uelliger-Motive
Den Morgenrotmantel haben Kathrin Bosshard (Spiel, Figuren) und Andrea Schulthess (Regie) bei Karl Uelliger entliehen. Der Künstler stand Pate für die Produktion «Goldi – ein Stück Glück» des Figurentheaters Fleisch und Pappe, das am Mittwoch im Figurentheater uraufgeführt wurde. Es ist eine von vielen Reminiszenzen an das vielfältige Werk des 1993 verstorbenen Kunstschaffenden und Wortkünstlers und entstammt dem Bildtitel eines Aquarells. Einen roten Mantel und eine rote Zipfelmütze trägt aber auch Goldi, der Held von vier Kinderbüchern aus der Hand Karl Uelligers.
Der neugeborene, rot gewandete Goldi erwacht durch die helle Stimme der wilden Hildi, eines aufgeweckten Mädchens, das sich aufs Sprücheklopfen versteht und mit ihm unbedingt einen Schneemann bauen will. Zögernd lässt er sich auf das Spiel ein, das ihm schliesslich Spass bereitet. Bei einer Schifffahrt auf dem Bodensee entdeckt er eine musikalische Schatzkiste und darin einen (Uelliger-)Spruch: «In mir muss ich wohnen, dann bin ich überall zu Hause.»
Seine Reise führt ihn weiter in ein blühendes Frühlingstal und auf den Mond. Goldi erlebt Schnee und Sonne, Tag und Nacht, Feuer und Wasser, das Glück und das Aufgehobensein in der Natur. Schliesslich erinnert ihn die Waldbächlerin daran, dass es Zeit sei, heimzukehren. Goldi legt leichten Herzens sein rotes Gewand ab und geht zurück in den Alltag, zum Aussteiger wird er nicht. Alles ist gleich, aber doch ganz anders als zuvor.
Einssein mit der Natur
«Goldi – ein Stück Glück» ist die vielschichtige Geschichte einer Selbstfindung durch das Einssein mit der Natur und den vier Elementen. Das Stück ist für Kinder ab fünf Jahren ebenso geeignet wie für Erwachsene. Kathrin Bosshard ist darin mit Leib und Seele Puppenspielerin: Sie singt, reimt und spielt, dass es eine Freude ist. Auch die zauberhaften Figuren wurden von ihr geschaffen, die für das Publikum in den hinteren Reihen vielleicht etwas zu klein geraten sind. Leicht fliesst das Stück dahin, und nach einer knappen Stunde Vorstellung hätte man eigentlich Lust auf mehr. Man möchte Goldi noch lange auf seiner Reise zu sich selbst begleiten.
Nächste Aufführungen: Morgen Sa sowie 30.4. und 4.5., je 14.30 Uhr
Erschienen im St. Galler Tagblatt am 28.04.2006